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Karelia, Kaffee und Orangensaft

ARSCH AN ARSCH MIT FIIO IM KRIEMHILD

Der Duft von Zigarettenrauch trägt uns über die ab und an von Bäumen besiedelten Straßen des 15. Wiener Bezirks vorbei an Häusern, die es schwer machen den Kopf bei den Füßen zu halten und noch einen Fuß gerade vor den anderen zu setzen, bis diese wackligen Schritte uns hoffentlich letzten Endes doch noch in die klassische Kaffeehausidylle transportieren, in der wir uns mit dem ortsansässigen Sänger verabredet haben. Der Blick wandert weiter nach oben und wir mäßig voran. Im Vorbeigehen lesen wir über uns erst „Billard“, dann „Café“, dann „Kriemhild“ – und da sitzt er auch schon. Fiio. 

Der Musiker sitzt da, Karelia-Packung bereit. Vor ihm ein großes Glas Orangensaft, welcher doch aber nie angerührt wurde und einen Iced Melange. Dahinter er: zerzauste Haare, offenes blaues Hemd, Slim-Fit-Jeans und eine Sonnenbrille groß genug, um sich selbst ausgiebig darin zu spiegeln (und – um ehrlich zu sein – auch um die eigene Performance des Interviews live verfolgen zu können). Er sieht uns, winkt uns zu, springt auf und umarmt uns. „Morgeeeen“, entgegnet er uns langatmig und ein klein wenig verschlafen. Wir fragen: „Draußen okay?“ – „Ja, draußen ur nett!“ und so bleiben wir gleich da im Eck sitzen. 




Ohne die Aufnahme zu starten, beginnen scheinbar schon die Fragen – aber von ihm? „Was ist besser, Soda Zitron oder Soda Himbeere?“ Ich sage: „Naja, ich würde jetzt ein Soda Himbeere nehmen“ und bitte unsere Fotografin Doro Adam und Fiio, es mir zu bestellen, während ich – wie so typisch vor einer großen Reise (wenn auch diesmal nur verbal) – noch einmal aufs Klo gehe. Als ich zurückkomme, steht da doch aber ein Soda Zitron. Ich schaue etwas verdutzt. „Ich hab’s bestellt. Schwöre!“, sagt Fiio direkt und ergänzt grinsend: „Jetzt hast du das Zweitbeste bekommen“.

Naja. Fiio hat heute ein Heimspiel. Er ist gerade eben in den 15. Bezirk gezogen. Selber sagt er, es sei sein Lieblingsbezirk bisher. Er muss es ja wissen, schließlich hat der Sänger schon viele Ecken Wiens bewohnt. Erst den dritten, dann den fünften und jetzt den fünfzehnten Bezirk. Vergleiche hat er also genug. Hier hat er gefunden, was ihm sonst immer fehlte. „Sowas kiezhaftes". Ein Nachbarschaftsgefühl, ganz ohne dieses „Schneekugelgefühl“, welches ihm der Fünfte gegeben und er so schön umschrieben hat, bevor ich die Aufnahme starten konnte, weswegen der genaue Wortlaut fehlt. Er beschreibt dieses Gefühl aber als „Fake-Idylle“, oberflächlich, schön anzuschauen, ohne viel dahinter. Ob er sich jetzt wie ein „Touri“ in seiner neuen Gegend fühle, verneint er.




Fiio macht nicht erst seit ein paar Tiktok- oder Insta-Reel-Sounds Musik. Musikalisch hat er einiges erlebt und doch auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Er kommt ursprünglich aus einer Band, welche später zerbrach. Darauf folgten ein paar weitere Projekte und letztendlich kam 2021 das, wie er es nennt, „Fiio-Projekt“. Wer sich jetzt fragt: „Aber Stammcafé, woher kommt denn überhaupt der Name?“ – Überraschend simpel. Von seiner Mutter, also das heißt nicht, dass das sein Vorname ist. Aber Mama Fiio hat seinen Vornamen (ich hoffe, ich doxxe nicht) Florian einfach in einen random name generator gepackt und rauskam –> Fio! – aber da fehlt doch noch ein i!? Das ergänzte die Mama auch noch kurzerhand. Sie ist gelernte Grafikerin und „weiß halt, was gut aussieht“. „Es macht einfach ur Sinn“ 


Also, der Name steht – wie ging es daraufhin weiter mit dem Projekt Fiio? Es beginnt mit einem Genrewechsel. Deutschrap ist in aller Munde, Fiio will sich reinventen. „Ich hab mir sehr gewünscht, so jemand zu sein“, reflektiert Fiio.“ „Ich habe dafür meine musikalischen Wurzeln, in denen ich aufgewachsen bin und auch immer noch stattfand, ad acta gelegt. Ich habe gesagt, das bin ich nicht mehr. Ich bin jetzt wer Neues.“ Ein typischer Anfang-20er-Jahre-Gedanke, den man beim frischen Erwachsenwerden so mit sich trägt, wie er sagt. „Man bekommt schnell Ideen von sich selbst, die nicht zwangsläufig das sind, was man selbst eigentlich ist.“

Er ergänzt: „Ich wusste nicht, wer ich sein will oder ob ich schon wer sein sollte. Ich glaub, ich hab mir über mein Ego eine Idee von mir selbst in mich gepflanzt, die es so von Anfang an nie hätte sein können.“ 

So geht es eine Weile dahin. „Touri“, „Notting Hill“, „Lola“ und andere Songs seiner Anfänge tragen einen Sound, der eng an die Trends der Zeit geknüpft ist. Bis dann nach kurzer Pause im Juli 2022 ein Lied kommt, das für Fiio so ein „weirdes Zwischending“ ist: „Lover“.  Er lässt erahnen, was schon mal in ihm war, ihn vielleicht auch nie verlassen hat. „Er ist scharf geschossen, aber im Klang noch nicht ganz da.“ Da ist Fiio seiner Meinung nach erst 5 Monate später mit „Ohrring“. „Hier habe ich mich zum ersten Mal wieder richtig dazu bekannt, dass Gitarrenmusik das ist, was ich eigentlich mag, und darin habe ich mich dann auch sehr gefunden“

Immer wieder sind neue Veröffentlichungen neue kleine Schritte, um sich selbst in der großen Indie-Welt zurechtzufinden. Es gibt noch viel zu erkunden. Gerade stilistisch sieht sich der Sänger sich noch nicht ganz dort, wo er am Ende sein will, aber das kommende Album soll ein neuer wichtiger Schritt dahin sein, die Indie-Welt besser zu erkunden. Was ihm zu Beginn noch an Selbstbewusstsein fehlte, hilft ihm nun ein Album zu bauen, in dem jedes Lied eigen ist und doch auch ein distinktives und lineares Fiio-Soundbild hat. Frühere Alben waren oft länger, hatten Ausreißer und gingen manchmal ein paar Schritte weg vom eigentlichen Weg, den das jeweilige Album eingeschlagen hat. Athena hingegen wirkt geschärft, geschliffen und zielorientiert. Es klingt nach Slimfit-Jeans; Haaren, die das Bett gemacht hat und Gitarren im Wiener Altbau. 

Auf die Frage, welcher Song vom Album es ihm gerade besonders antut, antwortet Fiio: „Arsch an Arsch“, seine nächste Single (und – was ein Zufall – die kommt sogar heute Nacht noch raus!!). „Als Artist wünscht man sich immer pro Single, dass es die dann ist, die dann wieder gut ankommt.“ Aber auch „Reality TV“, ein Song, der etwas elektronischer angehaucht ist, ist für ihn ein kleiner Standout-Track. An dieser Stelle unterbricht der Kellner mit der Frage, „ob noch alles passt“. Wir hoffen, wir glauben, doch wo waren wir jetzt eigentlich? Naja, im Hadern um das Thema schlagen wir vor, Inspirationen zu behandeln. Das Album strotzt vor The Strokes, The Killers, Arctic Monkeys, The 1975 und vielen anderen prägenden Bands der 10er-Jahre, die der Wiener in seinen neuen Liedern unter einen Hut und vor allem in die 20er-Jahre bringt. Die Themen werden moderner und aus englischen Städten wird Wien. „Wir brauchen uns ja nicht anlügen, natürlich ist das hier eine der schönsten Städte, die’s gibt“, sagt der Wahlwiener – und wer sich jetzt denkt Wahlwiener!? Wir waren ähnlich schockiert darüber, dass dieser Mann, der wie kaum ein zweiter seine Stadt verkörpert, ursprünglich jemand war, der in seiner Insta-Bio „Near Vienna“ stehen hatte. „Schuldig!“, lacht er uns entgegen „oder so gschissen  VIE!“ „Naja, ich hab damit geflext“. Aber Fiio, bzw. damals noch Florian, war trotzdem immer hier: „Ich hab hier meine Tage verbracht, ich hab hier geskatet und dann ist man halt hier fortgegangen. Mit dem Opernbus rein und später wieder in den Opernbus gspibm“




„Es ist sehr wienerisch mit dem Kopf in den Beton zu starren, so red mich bloß ned an, aber Wien ist eine Stadt, wo man den Kopf nach oben richten muss“




In seinem letzten Song „Alice“ jedoch bröckelt die Alltagsromantik seiner Wahlheimat ein wenig. Er singt, inspiriert von Arad Dabiris Buch „GLORIA!“: „Ich glaub nicht mal mehr an Liebe, ich glaub nicht mal mehr an Wien, ich glaub nur noch an Alice“. Ein Name den er sich auch direkt dort ausborgt. Im Buch ist Alice energetisch, fordernd stichelnd und lockt den Hauptcharakter gerne aus der Reserve. Ihm gegenüber ist sie ein großer Kontrast und gerade für Fiio eine interessante Persönlichkeit. „Sie ist jetzt keine klassische Femme Fatale. Sie ist eine ganz eigene und eine ganz coole Wegbegleiterin.“ In Dabiris Buch finden sich Alice und der Hauptcharakter des Buches später am Donaukanal für ein Date wieder. Sie sitzen dort, aber es passiert relativ nichts. Fiio spinnt die Geschichte weiter auf, er findet sich im Kopfkino wieder und letztendlich springt Alice in den Donaukanal und er eilt hinterher. Todesangst. Was, wenn sie ertrinkt?

„Ich hab mich ein bisschen in dieses Gefühl hineinversetzt, ich glaube nicht mehr an die Stadt in der ich wohn, ich glaub nicht mehr an die Liebe, ich glaub nur mehr an dich“. Alice ist mehr als eine Person, sie ist Konvolut vielerlei Personen, Träumen, Momenten und zeigt für Fiio das Gewicht, das er in seinen Zeilen darstellen will. 




Sein Album Athena soll sich auch äußerlich direkt im Titel von seinem ersten Album Wir werden nur, was wir schon sind, unterscheiden. Der Name war philosophisch, groß und die  Thematik dadurch eher erwartbar. „Athena“ hingegen? „Keine Ahnung… Was weiß ich, was das jetzt ist“. Ein bewusst abstrakter Titel. „Ich wollt gar nicht, dass der Titel so viel mit dem Album zu tun hat. Also Athena würde ja eher voraussetzen, dass ich jetzt nen griechischen Heldenepos erzähl.“

Es geht ihm heute nicht mehr darum, irgendwelche riesigen Parabeln in seinen Songs aufzustellen, mit denen immer große Geschichten erzählt werden müssen. Für ihn geht es vielmehr darum, aufzuzeigen, wie romantisch gewisse Dinge sein können, wenn man nur richtig hinschaut. Weg mit Erwartungen, einfach eintauchen, rein in den Donaukanal – vielleicht ist er zwar „ur nicht sauber“, aber darum geht es nicht, was weiß man schon, wie es sich anfühlt, ohne je hineingetaucht zu sein.


Hiernach haben wir uns kurz im Gespräch verloren: Es ging um den Geruch von Büchern (seine Antwort: Tinte!), den Bob Dylan Film und wie dieser Film in ihm hervorruft, selbst wieder analog zu schreiben, die Frage, ob Bob Dylan heut nicht selber nur ins Handy schreiben würde und ob Slim-Fit-Jeans jetzt eigentlich zurück sind (seine Antwort. Ja!). Wir reden und witzeln dahin. Ich bin erinnert, dass Fiio ja durchaus ein Paar distinktive Phasen hinter sich hat: Es gab die Hip-Hop-Phase, die grünen Haare, Elektro Fiio, jetzt Indie – was mich gesammelt zu der Frage bringt: „Fiio, wann gibt’s deine Eras Tour?“ Woraufhin wir unerwartet ernster wurden. Die Eras waren in erster Linie einigen Rückschlägen geschuldet. Er erzählt, sein letztes Jahr sei turbulent gewesen, er habe seinen Vater verloren, mit dem Label sei es auseinander gegangen und letztendlich wären seine Haare bunter geworden – „aus Trotz“, wie er selber sagt. „Ich hab viel gewonnen, ich hab viel verloren und das macht halt einfach was mit einem. Man kennt sich nicht aus und es gehört wohl einfach in diese 20er- bis 30er-Jahre mit rein, die ganze Zeit zu schauen, wer will ich eigentlich sein, wer bin ich eigentlich? Schon als Jugendlicher habe ich immer probiert und geschaut. Gerade im Bereich Musik und Fashion ist alles immer im Loop, alles dreht sich im Kreis und irgendwann geht’s darum, diesen Loop zu entschleunigen, undeutlich zu sagen: ‘Jetzt bin ich grad da, wo ich sein will.’“

„Wie ich mich jetzt grad kleide, spiegelt voll, wie ich mich selbst mit 16 – klein, voller Akne und Selbstzweifel – immer gewünscht habe zu sein. Jetzt bin ich so und ich hab das Gefühl – ‘Okay! Jetzt passt einfach mal alles.’“

Er hat überlegt aufzuhören, sein letztes Jahr machte klar: „Okay anscheinend hat man nur ein Leben, so hart es klingt – naja, man muss es einfach sortieren und authentisch leben und deswegen hab ich einfach nochmal alles beschleunigt.“ 




„Die Fans verstehen, wenn ich die Songs spiele, dass das immer noch ich bin.“ Auch wenn diese Songs aus Phasen entstanden sind, die durchaus anders sind oder andere Lagen spiegeln, als die, die ihn heute umgeben, so findet er doch Ruhe darin, „dass das alles auch eigentlich nicht so schlimm ist. Es ist nicht alles immer ein riesen Change, solange ich eine Stimme habe, mit der ich was erzählen kann, ist eigentlich alles in Ordnung.“


Mit 16 wünschte er sich so zu sein wie er jetzt ist. Er selbst sagt auch, jetzt ist das Alter, das er sich wünscht zu sein. Er thrived. Jetzt ist das Alter, in dem grad alles passt. Seine Musik spiegelt das gerade auch wider. „Was würdest du dir selbst vor 13 Jahren mitgeben?“, frage ich. Er erwidert lachend: „Ur viel pathetisches Zeug.“ 


„Aber es wird.“


Langsam ist unsere Zeit gekommen, wir müssen gehen, bzw. nicht mal wirklich wir, aber der liebe Fiio hat noch nen Arzttermin – so ist das wohl mit fast 30. Wir schlendern in Richtung U6, quatschen noch über ein Paar neue Wiener Artists (u.a. unsere Stammgäste Purple aus der Erstausgabe) und lassen alles nochmal Revue passieren.

Wer mehr von Fiio will, bleibt heute besser mal länger wach. „Arsch an Arsch“ erscheint noch heute und Athena lässt auch nicht mehr lange auf sich warten.




DORO ADAM
BILDER