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Konzertkonsum

DAMIT UNS DAS HÖREN UND SEHEN NICHT VERGEHT

Mit elf war ich auf meinem ersten Konzert. Es war in einer mittelgroßen Venue der Stadt und meine damalige Lieblingskünstlerin trat dort auf. Die Vorfreude, endlich die Songs, die ich immer in meinem Kinderzimmer lautstark performte, live hören zu können, war riesig – auch die Aufregung, dass die Türsteher*innen mich wegen meines Alters nicht reinlassen könnten. Doch dank meiner Mutter und dem ausgefüllten Muttizettel war das kein Hindernis. Das erste Mal in einem Club, das erste Mal ungeduldig in einer Menschenmenge stehen und meine Mutter anquengeln, wann es denn endlich losgehe. Das Gefühl während des Konzertes war unbeschreiblich; die Lieder, die ich so liebte, mit einem ganzen Saal lauthals mitzugrölen und außerhalb meiner vier Wände dazu zu tanzen.

Mit vierzehn war ich das nächste Mal auf einem Konzert. Dieses war gigantisch. Ein internationaler Pop-Stern und gleichzeitig mein großer Teenie-Schwarm trat in der Arena der nächstgrößeren Metropole auf. Auch hier war meine Vorfreude immens. Allerdings konnte das Konzert meine Erwartungen nicht erfüllen. Zwar war die Arena voll bis unters Dach, jedoch waren die meisten Menschen eher nicht für die Musik dort, sondern – so schien es mir – um anschließend zu erzählen, dass mensch dagewesen sei, mit einer Instastory vom großen Hit als Beleg. Klar, es waren auch Leute vor Ort, die, wie ich, jeden Song auswendig konnten und bei den ersten Klängen des Songs wussten, was die Arena jetzt erwarten würde. Die meisten von ihnen hatten allerdings hunderte Euro ausgegeben und standen somit direkt vor der Bühne. Ein Umstand, den meine Mutter nicht leisten konnte, geschweige denn wollte. So stand ich, begleitet von meiner Mutter, die mir das Ticket zum Geburtstag geschenkt hatte, eingekeilt von sitzenden und dabei ziemlich gelangweilt aussehenden Menschen. Fern von den gleichgesinnten textsicheren Fans auf den vorderen Stehplätzen. 

Nach diesem Erlebnis war ich nie wieder auf einem so großen Konzert. Mit Stadien und den großen Hallen habe ich seitdem für mich abgeschlossen. Mit der Zeit bin ich aber trotzdem immer mehr auf Konzerte gegangen. Kleine bis mittelgroße, wie ich sie flapsig, aber liebevoll nenne. Sobald ich achtzehn war, bin ich auch ohne Muttizettel los; mal mit Freund*innen, mal alleine. Ich habe meine Liebe für Konzerte (wieder-)entdeckt und gehe mittlerweile (wenn mensch es umrechnen würde) einmal im Monat auf eine Live-Veranstaltung. Konzertbesuche gehören zu den Dingen im Leben, bei denen mein Endorphinhaushalt regelmäßig einen Höhepunkt erreicht. Livemusik von tollen Künstler*innen macht mich einfach glücklich. Der ganze Raum bewegt sich zu den Klängen der Musik, singt mit, fühlt mit. Mensch spürt den Bass und die Drums im Körper wummern und hat das Gefühl, das eigene Herz schlägt im Takt des Beats der vibrierenden Boxen. Die Masse an Zuschauenden steht in einer seltsamen, nonverbalen verbalen Kommunikation mit den Artists. Es wird aufeinander, übereinander hinweg geschaut und doch meint mensch sich direkt anzusehen. Wir singen an, wir singen nach, wir rufen dazwischen und interagieren mit Künstler*innen, die ihre Kunst in einem überschaubaren Raum mit Menschen teilen und tatsächlich Gesichter und Körper hinter den Streamingzahlen oder Likes auf Social Media sehen. Eine Menge genießt ihre Musik, singt ihre Gedanken und Träume zurück, als ob es die eigenen wären und als ob der ganze Raum gleich empfände. Irgendwie stehen alle Anwesenden in einem seltsamen Dialog miteinander.

Doch dass es diese Art von Konzerten gibt, ist gar nicht so selbstverständlich. Künstler*innen, die genau solche Shows spielen, haben es nämlich (momentan) ziemlich schwer. 

Das hat nicht nur eine Ursache. Und eine Ursache kommt auch nie alleine, weil alles irgendwie zusammenhängt und einander bedingt. Problematisch ist auf jeden Fall, wie Musik gerade konsumiert wird. Wo vor 30 Jahren Tonträger gekauft wurden und Künstler*innen einen Großteil ihres Einkommens darüber verdient haben, stehen heute gigantische Streamingplattformen, die besonders kleine Artists faktisch nichts an ihrer eigenen Musik verdienen lassen. Um es in Grundnahrungsmittel umzurechnen: mensch kann sich mit 60 Streams auf Spotify einen Center Shock am Kiosk kaufen (bei 0,005 USD pro Stream und einem Center Shock Preis von 20 ct). Ganz schön erbärmlich.

Neben Tonträgern als wegfallende Einnahmequelle, bleibt nun auch bei Konzerten die  Gage aus. So erzählen Künstler*innen, dass sie bei einigen Konzerten eher Verlust machen, anstatt etwas einzunehmen. Während die Gewinne der Musiker*innen aus ihren Produktionen nicht steigen, sondern im Vergleich zu den letzten Jahren eher sinken, steigen also die Tourkosten stetig: Verpflegung, Management, Label, Hotels und (faire) Löhne für Soundtechniker*innen, Roadies, Busfahrer*innen, Musiker*innen der Band. Sicherer ist also für viele Künstler*innen, nicht auf Tour zu gehen. 

Nicht zu vergessen sind die Veranstaltungsorte, die von den steigenden Kosten auch nicht verschont bleiben. Damit meine ich nicht Hallen, Arenen und Clubs, die den Namen eines x-beliebigen Großkonzerns tragen und von diesem gesponsert werden. Gemeint sind Veranstaltungsorte, die von Privatpersonen oder von einem Kollektiv betrieben werden. Clubs, die zu einer Kiezgröße oder Szenetreffpunkt geworden sind. Orte, die in Zeiten von Rechtsruck und kapitalistischer Ausbeutung stabil bleiben. Wenn Künstler*innen wegen zu hoher Kosten nicht touren können, findet in kleinen und mittelgroßen Venues nichts statt. Und wie soll ein Veranstaltungsort sich über Wasser halten, wenn dort nichts stattfindet?

Die einfache Antwort auf das Problem der Finanzierung könnte eine starke Erhöhung der Ticketpreise sein. Doch kleine bis mittelgroße Artists können sich das einerseits aufgrund einer kleineren Hörer*innenschaft nicht leisten. Andererseits wollen viele dieser Künstler*innen nicht einfach ihre Hörenden für das strukturelle Problem der Musikindustrie zahlen lassen, die gleichzeitig die großen Artists mit Millionen-Publikum eine goldene Nase verdienen lässt.  Bestes Beispiel dafür ist das  Dynamic Ticketing System, das sich vor allem in den USA durchgesetzt hat. Dadurch zahlen Fans zum Teil tausende Euro, um ihre Idole „live in concert“ zu sehen. Das hat zur Folge, dass die großen Musiker*innen immer mehr Geld einnehmen und immer weniger Geld bleibt, um Konzerte kleiner bis mittelgroßer Acts zu besuchen. In Deutschland und Österreich steckt diese Geschäftsstrategie noch in den Kinderschuhen, jedoch sind auch hier die Preise für große Konzerte mittlerweile sehr hoch. Wenn ein Sitzplatz in einer Arena bei hundert Euro startet, überlegt mensch sich zweimal, ob diese Tickets gekauft werden und viermal, ob dann noch die Tickets für die zwei kleinen Bands in dem einen Schuppen zwei Straßen weiter drin sind. 

Um Livemusik und deren gemeinsames Genießen zu erhalten, supportet eure Herzensartists und -clubs also wo ihr könnt!  Wenn ihr die finanziellen Mittel habt, geht auf kleine bis mittelgroße Konzerte von Artists, die eure Playlists schmücken. Schafft euch schönen Merch von diesen Künstler*innen an oder kauft ganz oldschool einen Tonträger. Übertreibt’s nicht beim Vortrinken und kauft auch mal ein Spaßgetränk oder Bier im Club. Kommt auf Festivals auch mal Vormittags aus den Zelten, um Newcomer*innen zu hören. Gebt den Vorbands größerer Artists eine Chance, euch mit ihren Liedern zu packen. Erzählt euren Friends von der Musik, schleppt sie mit auf die Konzerte, dass die dann wiederum ihre Leute begeistern und die dann ihre Friends und so weiter… Oder vielleicht von Streamingmonopolisten (ihr wisst, wen ich meine) auf kleinere Anbieter*innen zu wechseln, die unsere Lieblingsmusikschaffenden besser bezahlen. Ist gar nicht so schwer. Mensch kann sogar ziemlich einfach die eigenen Playlists mit einer App übertragen. Einfach mal ne kleine Recherche dazu im WorldWideWeb starten, empfiehlt sich…