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Der Klassiker,
der keiner ist

ERNST MOECKL’S “Z-STUHL”

In der Hoffnung, meinem damaligen WG-Zimmer einen neuen Anstrich zu verpassen habe ich mich vor zwei Jahren hart darum bemüht, einen Stuhl - nein einen Sessel. Vielleicht doch ein Regal? Nein, einen Stuhl - zu finden der meinen hohen Ansprüchen gerecht wird (in ein 12qm Zimmer zu passen). Ohne große Recherche, meine einzigen Hilfen ein gutes Auge, ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung und damit einhergehende empfundene Interior-Design-Expertise, haben mich eBay-Kleinanzeigen auf meinem Handy öffnen lassen. Mein Kopf, gerade frisch neu aufgeladen durch Stundenlanges Im-Bett-Rumliegen, war bereit für große Denkarbeit. Somit war ich, ohne lang zu zögern, bereit die Suchleiste mit den Worten „Stuhl Designer“ zu füllen. Daraufhin wurde noch kurz die Preisrange auf 100€ beschränkt - Studierende haben es ja schließlich nicht leicht - und schon konnte es losgehen. Was folgte, waren erneut mehrere Stunden des Im-Bett-Rumliegens. Aber diesmal produktiv. Ich scrollte und klickte fast apathisch und wie in Trance durch hunderte Vorschläge, bis er mir erschien: Weiß, geradezu leuchtend. Nur ein paar Dellen, Kratzer und Farbschäden zeichneten ihn. Der Z-Stuhl von Ernst Moeckl! Aber was ist das? Irgendwie sieht er aus wie der Panton-Stuhl, irgendwie auch nicht.

An dieser Stelle gilt es vielleicht darauf einzugehen, wie der Stuhl überhaupt aussieht (also klar hast du das Cover Bild gesehen und wahrscheinlich auch deswegen auf den Artikel geklickt - aber trotzdem). Der Z-Stuhl ist ein Freischwinger, welcher durch eine organische, fast S-förmige Silhouette geprägt ist. Ein biomorphes Design der Space-Age-Ära, das jedoch nicht an Funktionalität und - aus eigener Erfahrung - nicht an Komfort verliert. Im Raum wirkt er gar schwerelos und gleichzeitig doch wie eine Skulptur des Alltags, welche ebenbürtig Mid-Century wie zeitgenössische Räume mit eigenem Charme zieren kann.

Aber wie eigen ist dieser Charme? Wenn man, wie am Anfang des Artikels schon angedeutet, den Stuhl sieht und sofort an Werke von Verner Panton erinnert wird, fällt es fast schwer Ernst Moeckls Stuhl selbiges zuzuschreiben. Der Unterschied liegt vor allem in der Herkunft und den Gegebenheiten, welche beide Designer umgeben haben. 

Pantons damaliger Entwurf, gefertigt von der Firma Vitra in den USA, galt als Sensation. Der Stuhl wirkt durch seine fast psychedelische Form grenzenlos, leuchtend und radikal. Vielleicht sogar ähnlich leuchtend wie mein Z-Stuhl heute, aber anscheinend sogar ganz ohne Kratzer. Wow! Es ist leicht zu erkennen, warum dieser Stuhl bis heute in Museen oder auch in prätentiösen Wohnungen einen Platz findet und zu einer Ikone des westlichen Designs wurde. Den Drang zur Freiheit (was auch immer das im westlichen Sinn wirklich heißen mag) sieht man ihn an! 

Moeckls Freischwinger hingegen entstand zwar zu Beginn seiner Geschichte in Westdeutschland, wurde aber nach dem Bau der Mauer ausschließlich in der DDR von der Firma VEB Synthese-Werk Schwarzheide produziert. Aufgrund von Materialknappheit konnte man hier nicht unbedingt mit teuren Hightech Materialen um sich werfen. Doch aber gelang es Moeckl und der Firma VEB einen hochwertigen Stuhl auf ganz eigene Weise zu schaffen. Durch Polyurethan-Schaum (hinsichtlich meiner früheren schulischen Chemie Leistungen wage ich nicht das näher zu beschreiben) wurde VEB und Moeckl der Weg zur Massenproduktion geebnet. Somit stand dem Stuhl nichts mehr im Weg Ostdeutsche Haushalte, Kantinen, Gärten und Büros zu zieren. Selbst vor der Mauer machte er nicht halt. Aufgrund Westdeutscher Vertriebsfirmen gelang es dem Stuhl in den frühen 70er Jahren sogar, wenn auch eher nischig, im Westen gefallen zu finden. In meiner Recherche bin ich hier beispielsweise auf einen alten Beitrag vom BR gestoßen, in dem eine Dame erzählt wie sie diesen Stuhl, wenn auch leider in grässlich gelb, in Salzburg in 1972 erworben hatte.
 
Doch der Stuhl bleibt nischig. Wie viele Dinge in der DDR, welche den Westen übertrumpften, wie z.B. die Emanzipation der Frau oder eine Hymne, die deutlich cooler war, ist auch der Stuhl Opfer des Dominanzdrangs und des Symbols der Überlegenheit des Westens nach der Wiedervereinigung geworden. 

Heute findet man den Stuhl außerhalb meiner Wohnung nur noch selten. Es gibt kaum Museen, die ihn oder Moeckls Werk ausstellen. Leider wird auch er, wie viele andere Ostdeutsche, unter den Teppich gekehrt, während der Stuhl maximal und vielleicht auch nur meiner Pathetik geschuldet, als stiller Held deutscher Design Geschichte gelten kann. Sein Design bleibt doch aber einzigartig. Auch wenn ich anfänglich eine Ähnlichkeit beschrieben habe, ist das wohl eher philisterhaft geschehen. Als Produkt der Knappheit und einer Zeit des puren Drangs nach Nutzen strebt er allein in diesen Gegebenheiten nach den Sternen. Ein großer Unterschied beider Stühle ist deren Erdung. Pantons Stuhl steht geschwungen aber wuchtig und robust auf den Boden, während den Z-Stuhl sprunghafte Beine nach mehr streben lassen.