The Man Who Sleeps (1974)
BASIEREND AUF GEORGES PEREC’S, UN HOMME QUI DORT (1967)
Der Schnitt des Films lässt zuerst vermuten, dass der Student der Stadt entflieht. Doch im weiteren Verlauf wird klar, es ist der Alltag, die zwischenmenschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Zwänge, denen er zu entkommen versucht. Doch diese Flucht schlägt fehl. Einerseits stellt sich durch seine neuen Routinen ein alternativer Alltag ein. Diesen beschreibt eine sanfte Stimme aus dem Off als „life without surprises. You sleep, you walk, you continue to live. Like a laboratory rat abandoned in its maze by some absent-minded scientist.”; in der englischen Version des Films gesprochen von Shelly Duvall gewinnt dies an neuer Einfühlsamkeit und Ruhe. Er verliert sich in sich selbst und sein eigentliches Vorhaben der Flucht gerät außer Sicht. Bei seinem eskapistischen Versuch vereinsamt er lediglich und verlernt zu leben.
Was bleibt, wenn man dem Alltag und dessen gesellschaftlichen Erwartungen entflieht? Wenn man nur als stiller Wacher über die Welt in seinem Ein-Zimmer-Himmel über Paris, ohne jeglichen Drang zur Konfrontation, die Menschen beobachtet. Leere, Einsamkeit und der Gedanke, ob das schon alles ist, was die Welt und das eigene Leben zu bieten haben.
Die Sprecherin wendet sich an jemanden. Adressiert direkt mit „Du“. Es ist unklar, ob sie zum Protagonisten des Films oder zur zuschauenden Person spricht. Vielleicht ja auch zu beiden. Vielleicht berichtet aber auch der Hauptcharakter von sich selbst aus großer Distanz, welche so weit von seinem Selbst entfernt ist, dass dieser innere Monolog nicht mal mehr von seiner eigenen Stimme geziert ist. Diese Unklarheit lässt zu, nein, macht es unumgänglich, dass man sich ein Stück weit in die Position des namelosen Studierenden versetzt.
Mir persönlich ist genau das schwer gefallen. Mich in die Person hineinzuversetzen, mich mit ihr zu identifizieren und so das Gefühl von Distanz zu überwinden.
Wenn man allerdings die Kommentare auf YouTube und Letterboxd, eine Plattform, die wie ein Film-Log-Buch funktioniert und in der man geschaute Filme bewerten kann, sind die Kommentare fast durchgehend positiv und nehmen Bezug auf den Studierenden als Identifikationsfigur.
“literally my life”-Zegan
“Daily routine of Letterboxd user in a nutshell”- apocalypsse
“wow he is literally me”-mary
“Please delete this, i'm in this movie and i don't like it”-Emanuele Polverino
“ I am in this picture and I don't like it”-Arjun Rajput
Im ersten Moment mag dies befremdlich erscheinen, doch bei näherer Betrachtung ist es nicht verwunderlich. “Stop speaking like a man in a dream. Look. Look at them. There they stand. Posted around town like silent sentinels. Thousands upon thousands of mortal men”, ertönt die Stimme aus dem Off gegen Ende des Films. Sie beschreibt, dass es viele Menschen wie den Studierenden gibt. In seiner Realität mag er vielleicht nur ein Individuum sein, das sich losgelöst von Gesellschaft und dem Menschsein empfindet. Doch das ist er nicht. Es gibt Tausende wie ihn, die alle samt stumm und einsam in der Stadt, wie Ratten in einem Labyrinth, umherwandern, ohne zu merken, dass ihr Gefühl gar nicht so exklusiv ist.
“Thank you for uploading this... i think this is my second time watching it here and the first time i was a bit too trembly at the end to leave a comment. I think many of us can relate to the character, and some may call us weak or idealistic or whatever. But for me it represented a great deal of comfort. I bawled my eyes out, but at the same time i felt understood. A person countries and decades away felt the same dread. And that turned something that was supposed to be sad into something beautiful. I hope it helps some of you too.!“
“Those days when the voice inside your head convinces you that everything is meaningless. Trying to create an underwhelming existence to counter the overwhelming weight of the world around you. Yet our collective suffering means we're never truly alone, a sense of poetry in finding what we have in common. Keep searching.“- DungeonSkramz
Es entsteht ein Zufluchtsort für Seelen, welche die Existenz und Sinnhaftigkeit ihres Lebens infrage stellen. Auch wenn ich selbst keinen Zugang zu diesem Film gefunden habe, haben so viele eine Art von Bestätigung in ihm gefunden. Leute fühlen sich gesehen. Sind anfänglich eingefangen. Fühlen sich vielleicht auch selbst wie die namenlosen Herren der Zeit, oder die Ratten, welche über die Straßen herrschen. Doch der Film selbst verherrlicht nicht und ruft zum Erwachen auf. Der Ein-Zimmer-Himmel wird zu Boden geworfen. Shelly Duvall raubt uns seiner Überlegenheit. Der Studierende und somit wir selbst wären vielleicht gerne diese namenlosen Herren der Zeit, die Ratten im Labyrinth. „Doch Ratten brauchen nicht Stunden, um einzuschlafen“.
Dieser Film und seine Kommentarspalten zeigen, dass es immer jemanden gibt, der ähnlich fühlt, wie man selbst. Vielleicht präventioniert diese Art von Gemeinschaft den starken Wunsch nach eigener Flucht und lässt nicht zu, dass sich weitere „m[e]n in a dream“ verlieren.