Reshaping Nature
/ 13.2. — 29.3.2025
Ein dumpfes, fast rhythmisches Geräusch durchzieht den hellen Ausstellungsraum der Stadtgalerie Salzburg wie ein Herzschlag. Beim Näherkommen offenbart sich der Ursprung dieses wiederkehrenden Geräusches: ein überdimensionales, an einem Gerüst befestigtes Löwenzahnblatt, welches durch einen mechanischen Impuls regelmäßig in Bewegung versetzt wird.
Der scheinbar leblosen Pflanze wird auf diese Weise ein atmender Rhythmus verliehen. Sie wird eins mit Sound, Technik und Bewegung. Franz Bergmüller bezeichnet die Arbeit als „Sound-Fotoobjekt“ – eine Installation die Naturabbildung, Skulptur und klangliche Inszenierung miteinander verbindet. „Neue Arbeiten“ widmet sich somit dem Wechselspiel zwischen Natur, Mensch und Medium. Im Zentrum steht die Frage, wie wir Naturräume wahrnehmen und wie sich deren Zusammenspiel mit Menschen und Objekten innerhalb dieser Räume verändert. Es geht um Wirklichkeit und Schein. Darum, wie der Mensch die Natur verändert, in sie eingreift und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Der Künstler gewährt der Natur eine neue Form und eine neue Ebene der Betrachtung.
Franz Bergmüller, geboren und aufgewachsen in den Bergen Salzburgs, entwickelt aus der frühen Nähe zur Natur eine Arbeit, die natürliche Gegebenheiten, fotografische Verfahren und skulpturale Ansätze experimentell miteinander verwebt. Seine Arbeiten erzählen von Eingriffen, Spuren, Reaktionen – und von einer Umwelt, die selbst zu einer gestalterischen Kraft wird. Sein künstlerisches Werk ist stark interdisziplinär geprägt und bewegt sich zwischen Fotografie, Video, Objektkunst und Sound. Seine Kunst behandelt die Wahrnehmung zwischen Kameraauge und physischem Raum. Indem er Bildwirkung, Scheinrealität und Wirklichkeit dynamisiert, schafft er einen skulpturalen Zugang, der die Fotografie über ihre zweidimensionale Begrenzung hinaushebt und eine neue räumliche Erfahrbarkeit ermöglicht.
Eine der ersten Arbeiten, die den Besucher*innen beim Betreten des Ausstellungsraums begegnet, ist ein Fotoprint, der einen Raum und den Künstler selbst darin abbildet. Das Bild ist übersät mit vermeintlichen Bildfehlern oder Kratzern, die sich in Wirklichkeit aber als Grashalm-Negative entpuppen. Diese erzeugen den Eindruck, als sei jemand gerade von einer frisch gemähten Wiese auf das Foto gestiegen und habe die noch an den Fußsohlen haftenden Grashalme auf dem dunklen Grund abgestreift und hinterlassen.
Täuschung und das Konzept einer Scheinrealität ist ein wiederkehrendes Element der präsentierten Werke. Ein vermeintlich leuchtender Lichtschein einer Studiolampe entpuppt sich nicht als Effekt der Beleuchtung im Ausstellungsraum, sondern ist Teil des Fotos. Erst bei genauerer Betrachtung wird sichtbar, dass der helle Lichtkegel bereits im Foto selbst abgebildet war, wodurch die Lampe als Täuschung entlarvt wird. Diese Beschäftigung mit Scheinrealitäten wird weitergeführt durch zwei identisch wirkende, naturgetreue Grashalme hinter Plexiglas. Sie entpuppen sich als Duplikate – fotografische Reproduktionen derselben Pflanze, fein ausgeschnitten und nebeneinander platziert. Ein solcher Moment absoluter Gleichheit widerspricht dem natürlichen Vorkommen und deutet auf das Eingreifen des Menschen in natürliche Ordnungen hin – ein Verweis auf das Ausmaß, in dem der Mensch die Natur manipuliert und nach seinen Vorstellungen formt.
Durch das Biegen von Papier und das Eingreifen in Material, auf dem das Foto liegt, entsteht der Eindruck, es handle sich tatsächlich um einen realen Baum.
Die Grenze zwischen realem Objekt und fotografischer Illusion verschwimmen. Beispielsweise wird bei der Darstellung eines Baums nicht nur die Oberfläche des Bildes bearbeitet, sondern die Baumrinde in den darunterliegenden Holzträger hineingeschnitten oder das Holz am Rand abgesplittert – ein Schritt, der der Abbildung eine skulpturale Erscheinung verleiht und dem Fotorealismus eine neue Dimension zuschreibt.
Im Einklang mit der zentralen Auseinandersetzung der Ausstellung – der Wahrnehmung von Natur und ihrer Transformation durch den menschlichen Blick – wird bei zwei der ausgestellten Werke die Fotografie selbst Teil der natürlichen Prozesse. Die Natur wird dabei nicht nur Objekt der Abbildung, sondern tritt als aktive Mitgestalterin in Erscheinung: Was zunächst wie Rostflecken auf dem Bild erscheint, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Ergebnis eines kollaborativen Prozesses zwischen Künstler und Umgebung. Hinter den Spuren braun-orangener Farbe, die sich vom Grau des Fotos abheben, steckt ein zeitaufwändiger Prozess, bei dem die Natur selbst das Werk weiterentwickelt. Das vom Künstler fotografisch festgehaltene Bild wird der Außenwelt ausgesetzt und funktioniert dabei fast wie eine Spielfläche, gar wie ein Raum, der betreten werden kann. Es wird auf dem Gras abgelegt, in seiner Position nicht mehr verändert und der Witterung sowie den an diesem Ort lebenden Organismen völlig überlassen. Deren Spuren zeichnet die Zeit - feine Linien, Verfärbungen, abgelagerte Strukturen – als ein interessantes, bewegtes Bild.
Auch in seinen filmischen Arbeiten verleiht Bergmüller der Natur eine unerwartete Eigenständigkeit – er lässt sie sogar „zurückschlagen“. In einer Videoaufnahme scheinen Haselnussäste plötzlich zum Leben zu erwachen, sich zu erheben und die Person hinter der Kamera zu attackieren.
Wie der regelmäßige Impuls des Löwenzahnblatts zieht sich ein feines Echo durch die Ausstellung – ein leiser Nachhall, der die Frage nach der Rolle des Menschen inmitten einer sich wandelnden Umwelt offen weiterklingen lässt. Die Werke Franz Bergmüllers verweilen nicht nur im Raum, sie setzen etwas in Bewegung: eine veränderte Wahrnehmung, ein Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Natur.
Sie werfen Licht auf ein Zeitalter, in dem Natur nicht mehr nur Kulisse ist, sondern zunehmend Konstrukt – formbar, beeinflussbar, verfügbar. Und zugleich wehrt sich diese: Sie wird zur Mitgestalterin, zur Akteurin, zur Stimme inmitten eines oft überhörten Diskurses. Bild, Objekt, Naturabbildung und Eingriff überlagern sich und eröffnen Zwischenräume, in denen Wahrnehmung nicht mehr eindeutig ist. Die Werke verlangen keine schnelle Antwort, sondern laden ein zum Verweilen, zum genauen Hinsehen, zum Sich-Einlassen. Vielleicht liegt gerade in dieser bewussten Wahrnehmung von Schein und Wirklichkeit, von Eingriff und Resonanz, ein Weg in eine Zukunft, in der Natur nicht nur Gegenstand ist, sondern Gegenüber.
FOTOS:
© Franz Bergmüller / Valentina Gruber
VALENTINA GRUBER