Wie geht’s eigentlich Lovehead?
Frage ich therapeutisch auf einem gelben Sessel in einem sonst eher weißen Wohnzimmer die drei FM4-Chartstürmerinnen Mara, Anna und Leni, während vor offener Terrassentür die Vögel die sonstigen Wiener Großstadtgeräusche übertönen.
„Ja gut!“, kommt mir abrupt entgegen. Das wird aber schnell relativiert: „Gestresst, aber gut – guter Stress – Naja, nicht so guter Stress – Scheiß Stress!“, lautet die Antwort der drei nach kurzem überlegen. lovehead ist Anfang des Jahres mit ihrer ersten Single „Denkst du an mich“ etwas schnell durch die Decke gegangen. Was vorher nur ein Geheimtipp für coole, billige und lokale Konzerte war ist auf einmal - ohne große Vorankündigung - im Radio, und dann auch noch für ganze zwei Wochen an der Spitze der FM4 Charts. Der Stress kommt also nicht von irgendwo. Die drei waren für Promo in Berlin auf Labelsuche und noch viel mehr im Internet. Das alles, während Mara, Anna und Leni auch noch studieren und ihre Prüfungsphasen meistern sollten, was nach Annas Angaben wohl so semi-gut läuft.
„Der Stress hat uns aber doch auch gut zusammengebracht", sagt Anna, woraufhin Leni lachend „Leider!“ einwirft. „Wir sind manchmal sehr auf dem Level von Cousinen, die sich irgendwann nur noch abfucken", sagt Anna, bevor Mara mit erhobenem Finger „Nichtmal Schwestern, nur Cousinen“ betont. Anna korrigiert ihre Cousinen-Kontroverse: „Ja Cousinen, weil manchmal mögen wir uns ja auch!“. Daher ist das ganze wohl vorerst doch ganz lieb gemeint.
Die vermeintlichen Cousinen sind dabei aber nicht nur pseudo familiär unterwegs, sondern auch geschäftlich. Die Suche nach einem Label hat die drei in die Hauptstadt Berlin verschlagen. Eine Stadt, die nach Maras und Lenis Angaben enttäuschend und „urhässlich“ ist. Der erhoffte Urlaub in der deutschen Metropole fiel aber nicht nur ästhetisch flach: die Aufgaben schienen oft größer als die Zeit, die ihnen blieb, um die Stadt überhaupt groß zu erkunden. Berliner*innen können somit hoffen, dass lovehead stressbedingt den schöneren Orten Berlins fernblieb und es vielleicht doch gar nicht so ernst meint.
Wobei die Langlebigkeit der Hoffnung vielleicht nicht unbedingt berechtigt ist. Lovehead bleibt sich selbst im Grunde immer treu. Das haben sie Berlins Labels bewiesen. Oft hatten sie das Gefühl in eine Schublade gesteckt zu werden. Der Markt sucht aktuell nach Frauenbands. Da kommen Anna, Mara und Leni als Bereicherung gerade gelegen. Doch die drei sind abgeneigt. „Wir wollen nicht gemocht werden, weil wir eine Frauenband sind und vielleicht auch coole Musik machen, sondern wir wären gerne primär eine Band, die coole Musik macht und es ist auch cool, dass wir Frauen sind“, sagt Anna, „Wir wollen nicht, dass das der einzige Grund ist, warum uns Leute mögen“.
Vielen Labels war die Musik zu roh. Sie suchen einen „poppigeren” Klang. „Eine Art Machine Gun Kelly“, sagen die drei lachend. Daraufhin wurden neue Versionen von ihren Songs aufgenommen, was nach loveheads Angaben bei den Labels durchaus Anklang fand. Doch diese Schiene widerspricht der Eigenheit, die die Band so ausmacht und welche die Charts ja durchaus unterstützt. Eine Art Pop Punk Highschool Band zu sein ist für lovehead keine Option. Sie wollen als Band ernst genommen werden und das Schema „junge Band / junge Zielgruppe“ überwinden. Das viele Suchen sollte nach einer Weile aber auch belohnt werden; so fanden die drei bald darauf das Label Vertigo / Capitol von Universal Music + Irrsinn. Diese stehen hinter Individualität und dem damit verbundenen rohen Sound. Das enttäuscht vielleicht die Pop-Fans unter euch, doch lovehead bleibt wohl vorerst wie gewohnt: eigen, roh und einfach ziemlich cool.
Wenn lovehead nicht gerade Berliner Herzen bricht, Songs über das junge Leben schreibt oder österreichische Bühnen beglückt, findet man sie zunehmend online auf TikTok und Instagram. Hier sieht man sie durch Gärten tanzen oder wie sie beinahe von strömenden Flüssen mitgerissen werden, während sie sich singend fragen, ob die besungene Person noch an einen denkt, wenn diese Wodka mit Kirschsaft mischt. All das vor einem immens großen Publikum. Ein Publikum, welches immer weiter wächst. Das bringt oft Probleme mit sich, so sind auch lovehead nicht davon verschont und gerade als Band dreier Frauen besonders im Ziel derer, die sich von Zeilen wie „und dein drittes Bein ist mir auch ganz groß zu klein“ in ihrer (fragilen) Männlichkeit angegriffen fühlen. Dem entgegnet Mara lachend: „Ich liebe unsere Hate-Kommentare. Ja, aber gestern habe ich bei unserem neuesten Video auf Instagram kurz durchgeschaut und war so: woah! Da ist richtig viel Negativ. Da war ich überrascht. Es ist schon immer relativ viel, aber das hat mich doch überrascht", reflektiert Anna. „Es ist aber auch ein bisschen, worauf der Song abzielt", entgegnet Leni. Der Song spielt nach den dreien eher metaphorisch mit einem „gar keinen Bock auf Männer haben“. Dabei ist das ganze doch auch eigentlich charmant und witzig verpackt. Nicht zuletzt, weil der Song auch eher als Witz geschrieben wurde, wie uns Anna erzählt. Die drei haben dabei ein Handy herumgegeben, als wäre es eine Art Klappfiguren-Spiel, nur anstatt Körperteile zu malen, ohne zu wissen, was die andere Person ergänzt, wurden im Proberaum am Handy jeweils Textpassagen hinzugefügt. Am Ende kam dabei, zum Wohle aller Fans, der vom Manager der Band als „lyrisches Meisterwerk” und „Hit“ beschriebene Song „Erdnussallergie” heraus.
Es lässt sich herauslesen: die Band interessieren die Hate-Kommentare eher weniger. Lediglich einmal schaffte es eine Person, Anna hier näher zu treten. Das war, als eine Person kommentierte sie sehe (zum großen Gelächter von Mara, Leni und dem Stammcafé) aus wie der Typ von „Cache Cache Trap Trap“. Naja, dieser entwickelte sich immerhin zu einem großen Genie. Die Redaktion wünscht Anna hierzu natürlich selbiges Glück. Zumindest käme das in der Prüfungsphase gelegen.
Apropos „Prüfungsphase“. Es konnte wohl niemand ahnen (maximal nur hoffen), dass lovehead so schnell so groß wird. Was macht das mit den eigenen Zukunftsvorstellungen? Es studieren alle drei. Leni betont, wie gern sie Soziale Arbeit an der FH studiert. Der Aufwand dort ist (zur Verwunderung vieler Kunstuni Studierenden in unserer Redaktion) enorm und das täglich. Sie betont selbst: „Beides geht nicht“. Somit muss sie eines fast streichen, damit das andere funktionieren kann. Mara geht es ähnlich. Sie wollte eigentlich ihren Studiengang wechseln und Medizin studieren: „Das wird sich wohl eher nicht ausgehen”. Anna kann das nur unterstreichen. Sie studiert Wirtschaftswissenschaften, was aktuell unter den neu gewonnenen Aspirationen leidet, da es für sie ebenfalls schwer zu verbinden ist. Ich biete ihr daraufhin unseren Studiengang an der Kunstuniversität als wohltuenden lockereren Ersatz an, doch sie lehnt ab. Naja. Anna holt das Gespräch daraufhin zurück in die Spur und betont: „Die Band hat schon etwas verändert. Die Zeit wird weniger und die Ansprüche an sich selbst, sich als Musikerinnen zu etablieren, wachsen immer weiter. Es ist schwer, die jeweiligen Studiengänge damit zu verbinden und beides nach eigenen Vorstellungen voll und ganz zu erfüllen”. Doch die Band ist wenig betrübt darüber. Leni sieht das im Namen der Band als Chance ein Hobby voll auszuleben und auch wenn es oft eher unwahrscheinlich wirkt, das als Beruf durchzuziehen. So ist gerade jetzt die Möglichkeit dazu da. Anna erzählt dabei von ihren früheren kindlichen Träumen, einmal auf einer Bühne zu stehen. Etwas, was für sie immer „unrealistisch“ schien, „weil ich nicht gut Bass spielen oder singen kann.“ „Mara ist der Star! Ohne die Gitarre wären wir am Arsch“, ergänzt Leni, nachdem sie betont, selbst nicht allzu gut singen oder Schlagzeug spielen zu können.
An dieser Stelle ist das Interview etwas aus der Spur geraten. Eine Hummel ist durch die geöffnete Terrassentür geflogen und hat die Chance genutzt lovehead hautnah zu erleben. Ähnlich wie ich ist sie wohl selbst großer Fan. Ob sie wohl auch einen Ohrwurm von „Erdnussallergie" mit sich schleppt?
Nachdem die Hummel alle Bandmitglieder einmal angeflogen und begrüßt hat, ging es unerwartet mit einer nicht vorbereiteten Thematik weiter. Nämlich loveheads Naturerfahrungen. Diese sind jedoch wenig pantheistisch. Hier erzählt uns Mara (zum Entsetzen von Anna, die daraufhin zu schreien beginnt), wie sie einmal, während des Badens in einem Naturteich, von einer Schlange gebissen wurde. Anna trägt bis heute eine Narbe von ihrer letzten großen Begegnung mit einer Hummel. Nach kurzem Zweifel an dieser Story wurde ich eines Besseren belehrt und mir wurde die Narbe gezeigt. Leni ging es ähnlich. Sie hat dabei aber zum Glück keine Narbe, die vom Überwinden der Naturgewalten zeugt, davon tragen müssen.
Nachdem wir frühere Natur-Trauma therapeutisch überwunden hatten, blieb uns nur noch eins: In die Zukunft blicken. Was sind loveheads Ziele und welche Pläne verfolgt die Band? Es stehen einige Singles an; auch eine EP soll im Herbst erscheinen. Hierzu braucht die Band aber noch ein paar Songs mehr, weswegen Anna vorschlägt, dass sie sich als Band „einbunkern“ sollten. Sie würde gerne ans Meer. Leni und Mara unterstellen ihr, dass das wenig im Sinne der Band sei, da dieser Vorschlag wohl eher ausartet. „Am Meer? Was machst du da? Du willst schwimmen und am Abend dann fortgehen.“. Leni schlägt daraufhin einen See vor, Mara die Berge. Leni hinterfragt auch diese Auswahl: „Was willst du denn in den Bergen? Mit einem Bär chillen?“ Es folgen weitere Kindheitstraumata. Die Wahl, mich auf einen therapeutischen Sessel zu platzieren, war definitiv die Richtige. Anna erzählt, wie sie als Kind eine Doku gesehen hat, in der ein Mann von einem Bären getötet wurde. Ich frage, ob sie „Grizzly Man” von Werner Herzog meint, doch darauf gab es keine direkte Antwort. Die Traumata sitzen wohl tief, einiges scheint verdrängt. Leni hat eine passende Ergänzung zur Angst vor Bären. „Da gibt es einen Spruch!“ wirft sie in den Raum. „If it’s brown lay down, if it’s black fight back and if it’s white… you’re dead- oder so.“ Wir hoffen dieser Spruch findet bei loveheads nächsten Naturbegegnungen keine Verwendung.
Die drei scheinen sich dem Gespräch nach auf ein „einbunkern“ in einer Hütte geeinigt zu haben. Erste Schritte der Besserung im Umgang mit den eigenen naturverbundenen Ängsten.
Jetzt wo das aus dem Weg ist, ist es an der Zeit wieder Songs anzusprechen (vor allem auch aus eigenem Interesse). „Wie nahe sind wir eigentlich an „Rotes Licht”?“ frage ich, bevor ich korrigiert werde. Der Song hat nun einen anderen Namen: „Rote Ampel“. Da der vorherige Titel zu „Rotlicht Milieu - mäßig“ wirkt. Aber zu meiner und hoffentlich Erleichterung aller lovehead-Fans ist der Song „sehr nah“. Anna stellt jedoch ihren Promo-Geist noch einmal unter Beweis und zeigt uns, dass der Hype auf TikTok und Instagram keinesfalls zufällig entsteht. Sie sagt: „Naja sehr nah bis fast nah.” Und hält die Spannung weiter oben. Ein anderer Song ist jedoch nochmal um einiges näher. Lieder für mich.
Manchmal hört man einen Song und denkt direkt an eine Person. In „Lieder für mich” geht es retrospektiv und in gewohntem lovehead Charme um das Ende einer Beziehung von einem der drei Bandmitglieder und um das reclaimen von Songs, nachdem sie von Gedanken an Personen unterwandert und letztendlich für diese Personen auch aufgebraucht wurden. Was sollen wir sonst sagen? Der Song ist catchy und das Gefühl kennt wohl jede*r. Wer sich also auch weiterhin gerne von lovehead verstanden fühlen will, muss nach den Infos der drei wohl auch nicht mehr allzu lange warten. Wer weiß vielleicht befinden wir uns mit dem Release vom Stammcafé und folglich diesem Artikel schon erneut in einer zur Promo von lovehead TikToks geprägten Zeit und werden erneut mit neuen Ohrwürmern und catchy Melodien in gewohnt charmanter Manier beglückt.
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© Nikolas Rode