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WEICH – Peat

AB INS INTERNET!

Eskapismus kann viele Formen annehmen. Eine Form ist Nostalgie. Sie kann helfen in eine romantisierte Vorstellung seiner selbst abzutauchen, in der Dinge erträglich oder weniger turbulent wirken. Für mich bedeutet das: Zeit den PC anzuschalten! (Wo auch sonst hätte man mein Teenager-Ich vorfinden sollen?)   


Meine Jugend wurde geprägt von digitalen Räumen. Einer dieser Räume war das VBT (Video Battle Turnier). Ein Ort an dem sich Rapper (in Ausnahmefällen auch Rapperinnen) „gebattled “ haben. Hier habe ich die Jahre von 2012-2016 verbracht und spannende Künstler verfolgen dürfen. Leute wie Frank Hemd, Weekend, MC Baum, Lance Butters oder Steasy haben mich geprägt und alle paar Wochen aufs Neue begeistert. In diese Welt bin ich diesen Sommer erneut eingetaucht und habe dabei eine VBT-Edition wiederentdeckt, die ich selbst nur noch sporadisch verfolgt hab: das VBT 2018. Die letzte Ausgabe des VBTs und eine die, wie kaum eine andere von Nostalgie geprägt war und von lang vergangener Hochphasen des Turniers träumte. Immer wieder gab es in den Runden Hommagen und Running Gags, welche an alte Runden und Turniere erinnerten.  
Hier stach ein Rapper besonders heraus: Peat. Nicht nur wegen eben solcher  
Anspielungen. Die hatte er zwar auch, wie in seiner Runde gegen Pueblo Escobar, der 2 Jahre zuvor gegen MC Baum geflogen ist und selbst Baum als Adlib die Runde abschließt. Er stach heraus, weil er Runde für Runde scheinbar ohne Probleme Gegner rauswerfen konnte, die oft sogar als Favoriten galten. Das zog sich bis ins Finale durch. Hier traf er auf Engine Itano. Pure Nostalgie! Denn Engine Itano war früher bekannt als Dr. Lucs und der, der gegen den wohl bekanntesten und größten VBT-Rapper flog: Weekend. Da man gegen Weekend nicht gewinnen konnte (Er hat zweimal mitgemacht und zweimal gewonnen), war man schon cool, wenn man überhaupt gegen ihn gebattled hat. Das war auch Engine Itanos Steckenpferd. Dieser hat sich die VBT-Legende nach 6 Jahren Battlerap-Stille sogar als Gastpart in die Hinrunde mit den Worten „Schließlich heißt Finale ich kann machen, dass ich Weekend bin… Indem ich das Turnier gewinn“ holte. Jetzt sollte man meinen, Peat fliegt, wie so viele vor ihm, gegen jemanden der nicht verlieren kann. Und doch lieferte Peat zwei Runden, die nicht besser hätten sein können. Nostalgie war im Laufe des Turniers nie Fremdwort und doch fand sie in Peats Hinrunde neuen Stellenwert. Sein Video war eine Hommage an alle VBT-Gewinner vor ihm. Er reihte sich ein, als einer der Großen und besiegte Engine Itano mit 66:52.   

Das sollte jetzt aber genug VBT-Geschwafel sein. Chronisch Online wie ich bin und schon immer war, könnte ich hier noch Stunden drüber reden. Das vielleicht ein andermal. Denn es gibt Wichtigeres zu besprechen! Peat sollte nämlich keinesfalls nur auf das VBT reduziert werden. Nachdem ich mich und mein Umfeld genug mit eskapistischer Nostalgie verstummen lassen hab, habe ich einen Schritt nach vorne gewagt und recherchiert was diese Rapper heute so machen und auch wenn es viele Songs von guten Alben und EPs in meine eh schon viel zu lange Playlist geschafft haben, so hat keines denselben Stellenwert wie das 2023 erschienene Album „Weich“. Peat erzählt in schonungsloser Ehrlichkeit von turbulent jugendlichen 2000er-InternetOdysseen und jeglichen Erfahrungen, die einen bis heute plagen und prägen.   

Er schafft ein Soundbild, welches die Hörer*innen in den Bann zieht. Das beginnt bereits in den allerersten Sekunden des ersten Tracks „IRGENDWANN WIRD ALLES“, in dem eine wunderschöne fast träumerische Stimme uns wiederholend mit den Worten „Wer will schon alleine sein, alleine auf der Welt“ an das Album heranführt und uns, vom Klavier begleitet, in eine Thematik einführt, welche uns, wie von Sirenen geführt, in die Untiefen des Meeres verführen sollte. Eine Thematik, die der zweite Track „WEICH“ direkt aufgreift. Peat befindet sich „Kilometer weit unter dem Meeresspiegel“. Erdrückt und frei von Gefühlen, bis auf den letzten Rest, der es ihm ermöglichen soll, den Weg zur besungenen Person zu erhoffen. Doch es bleibt wenig Kraft in der erdrückenden Härte des Lebens, aus der er sich im Song-Outro heraus singen will und auf weichere Zeiten hofft.  

Der nächste Song „MR. RATTENSAU“ zeigt uns welcher Druck in den Untiefen des Meeres vorherrscht. „WEICH“ scheint weit weg. Drums und Gitarren zeigen uns eine neue Härte, die textlich mit Geschichten untermalt wird, welche sich anfühlen, als sollte man diese nie zu Ohren kriegen oder als würde man tiefe Gespräche fremder im Vorbeigehen überhören. Peat zeigt uns das Internet und seine darin verbrachte Jugend als grauenhaften Ort. Ein Ort, der ihn bis heute formt. „Ich hab‘ mich heute an nichts verletzt, ich glaub‘ ich geh heute ins Internet“ ist eine der Textpassagen, die sich als eine von wenigen richtig anfühlt niederzuschreiben, ohne dabei Dinge zu offenbaren, die wirken, als wären sie im Vertrauen erzählt worden.   

„HIMMEL“ offenbart ein Wechselspiel zwischen Himmel und Hölle. Peats persönlicher Himmel sowie seine Hölle sind abhängig von einer Person. Ist sie da verspürt er Glück, doch wenn sie geht, bricht alles zusammen. Er glaubt an nichts außer die eigene Destruktivität und bittet sein Gegenüber davonzurennen. Der Track bietet auch die ersten Feature Gäste: Mauli und EDNA!. Die Künstler bewegen sich beeinflusst von beiden Welten durch den Track. Mauli (auch bekannt aus dem VBT unter dem Namen DirtyMaulwurf) offenbart sich dem Titel gemäß als eine gottesgleiche Figur, welche über allem schwebt. Dem/der Hörer*in wird schnell klar, dass diese Überheblichkeit ihn zu Fall bringt. EDNA als zweiter Feature Gast zeigt, wie schwierig es ist zwischen den verschiedenen Türen seiner Gedankenwelt einen nicht destruktiven Weg zu finden. Er wünscht viel Spaß „das alles auszubalancieren“ und bricht seinem Namen getreu aus.  

Das war viel! Zum Glück bringt der darauffolgende Titel „DU“ eine melodisch ruhigere Atmosphäre mit sich. Die Thematik spiegelt die des Albums sehr gut und introvertiert wider. Wir bekommen wieder tiefe Einblicke in die Psyche, lernen über die Folgen eines Beziehungsendes und eine Line, die für mich das Album in vielen Punkten trifft: „Ich hab dich nie vermisst, ich hab mich nur verloren, in der Tiefe eines Links, denn nur da fühl ich mich geborgen“.  

Nach dieser kurzen Verschnaufpause geht es weiter. Harte Drums, E-Gitarren und Synths untermalen Peats emotionalen Eskapismus. Seinen Fluchtweg aus den Problemen schildert er in „DER SCHRECKEN“: „Bist du alleine mit deinen Sorgen um die Welt? Ich glaub‘ dann kenn ich einen Ort, der dir gefällt“. Es beginnt langsam mit Katzenvideos, alleine in der Weite des Internets, und endet in Porno- und Snuffvideos, Opiaten aus dem Online-Handel und einer kompletten Verstumpfung seiner Selbst.  

Ein weiteres Highlight bietet HAXAN030s Feature. Er greift dieses Sentiment perfekt auf und ergänzt die eigene Entfremdung; nicht mehr als eine Kopie von etwas aus dem Internet zu sein, ein etwas, das ebenfalls nur eine Kopie ist; bevor uns Peat weiter in „DAS WILDE VERDERBEN“ schickt.  

„DIE UNENDLICHE SCHAM“ und „GUTE WEILE SKIT“ berichten von den Folgen seiner Realitätsflucht in digitale Räume. Das Pflegen zwischenmenschlicher Beziehungen wird zur größten Herausforderung, Sonnenlicht trifft nur mehr selten auf die Haut und wie man Bücher liest ist längst verlernt. Er will sich raus in diese Welt wagen, doch bevor der Gedanke zu Ende ist, bricht er ihn wieder ab. Er gerät in Selbstzweifel. Seine Gedankenwelt wirkt dabei fast wie ein Internetdiskurs, bis er letztendlich doch zu Hause bleibt. Das auch gerne so lange bis das Haus zerfällt.   

„PUNKT“, „PERVERS“ und „ZURÜCK“ zeigen die Zeit nach dem Ende einer Beziehung. Peat erzählt von seinen Fehltritten, wie er sich selbst nicht im Griff hat und wie er sowohl seine Psyche, als auch die seines Gegenübers beeinflusst. Liebe bedeutet für ihn Angst. Er fährt seine Beziehung lieber gegen die Wand, bevor er sich noch weiter verliert. Daraufhin hofft er sich nicht mehr zu verlieben. Zumindest soll ihn dieser Gedanke vor weiteren Verletzungen schützen. Dennoch wünscht er sich insgeheim, dass diese Person sich doch noch meldet, bevor der Song die Gesänge aus dem Intro „Wer will schon allein sein, allein sein auf der Welt“ wieder aufgreift. Der letzte der drei Songs setzt das Sehnen fort, er will die Person zurück, fragt offen nach ihr.  

Die darauffolgenden Songs spielen weiter mit Realitätsverlust und dem Vergessen der eigenen Person. Sie beschreiben Wut wie in „PFEIL UND BOGEN“ oder wie man Verlorenem hinterherrennt, ohne sich groß vom Fleck zu bewegen. Ein Streben nach dem Unerreichbaren.  

„AM ENDE“ schließt das Album ab. Geblieben sind Peat nach all dem Rennen noch immer seine Vorwürfe gegenüber sich selbst. Er redet mit sich selbst. Er kehrt in sich zurück und wirft sich vor, sich keine Mühe gegeben zu haben. Er sei eine Enttäuschung, es ist seine eigene Schuld. „Meine Geduld mit mir selbst ist am Ende. Ich jag‘ alles in die Luft“.  


Eskapismus kann viele Formen annehmen. Viele davon sind destruktiv. Doch ohne den Drang mich in der Nostalgie zu verstecken, hätte ich Peat wahrscheinlich nicht wieder entdeckt. Dieses Album ist für mich vor allem eins: Verständnis. „WEICH“ behandelt das, was viele Kinder der frühen 2000er umgibt. Eine Welt von der unsere Eltern nie Ahnung hatten. Eine Welt in der so vieles auf uns einbricht in Formen, die wir bis heute kaum deuten können. Formen, die uns bis heute verfolgen und unsere Beziehungen beeinflussen. Wir wissen, dass es uns nicht guttut, es wichtiges im Leben raubt und doch kehren wir immer wieder dahin zurück und verlieren uns auf ein Neues in irgendwelchen Hyperlinklabyrinthen.


FOTO:
© Till Wilhelm


JONAS TÖPFL