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Wenn Fakten Fabeln werden


Der Anti-Intellektualismus zieht in die Häuser ein und schließt hinter sich die Türen. In den ländlichen Regionen ist dieser schon lange im Munde derjenigen, die hoch und heilig auf die Objektivität schwören, jetzt aber streckt er sich von profanen Dorf-Erzählungen zu öffentlichen TV-Debatten und politischen Diskussionen der Regierungs-Prominenten.  

Während die jüngsten Generationen der heutigen Zeit mit den sozialen Medien, den unendlichen Möglichkeiten der Datensammlung und Vernetzung der Welt einhergingen, stellten sich Mütter und Väter dem trotzig und herablassend gegenüber. Aber niemand wurde verschont und so wie es mit dem Trotz oft passiert, wird er aufgefressen und verspeist von den Gelüsten unserer Natur. Die sozialen Medien öffneten Tore, allen voran denjenigen, die gerne Einfluss auf kolossale Mengen von Menschen ausüben wollten. Neugierde, Verlangen und Scham stopften die Mäuler, die einst tadelnde Worte hatten und somit konnten auch sie unter die Influenz kommen. So passierte es, oder so werden sie irgendwann mal erzählen, wie es passieren konnte. Aus heutigen Meuten stehen keine Mistgabeln hervor, dafür steht dort jetzt ein X. Scheinbar nicht bedrohlich, aber mit einer Präsenz, die nicht nur mehr benachbarte Dörfer aufeinander losgehen, aber die ganze Menschheit in einen virtuellen Kampf ziehen lässt, in dem es keine Gewinner*innen gibt. 

Ich spreche hier keinesfalls von einer Problematik, die nur eine Generation betrifft, dennoch würde ich gerne darauf hinweisen, wie sich verschiedene Generationen unterschiedlich von ihnen beeinflussen lassen. Gerade auf Facebook oder X verbreiten sich Hetze, Hass und Desinformation wie eine Pandemie und weil sich auch die CEOs neuer Richtlinien bedienen, wie dem drastisch einschneidenden Entzug der Fact-Checking-Programme, geht die Propaganda nicht mehr, aber rennt uns die Türen ein. Für Gen Z und Gen Alpha sind die sozialen Medien ein eingestrickter Teil des Heranwachsens, das Internet die Religion und Mobiltelefone die Bibel, aus der täglich gelesen wird. Aber unser Glauben wird geprüft und getestet und die Resolution: Soziale Medien vergiften unseren Verstand, auch wenn der Übeltäter nicht auf dieses Vergehen alleine reduziert werden kann. Bejahend und eifrig wurde mit der Feststellung umgegangen, laut geklatscht und einige fühlten sich auch sehr bestätigt in Ihrer zuvor geäußerten Kritik und dann haben wir alle einfach erstmal weiter gemacht. Plötzlich fanden wir immer mehr von den Eltern unserer Schulfeind*innen und engsten Anhänger*innen sich ausprobieren, in dem Dschungel, den wir regierten. Instagram und TikTok wurden entdeckt und so sehr sich manche auch schämten, einer Begierde muss man folgen. Sie waren nicht die einzigen, die sich in fremden Gewässern tummelten, wir starteten auch durch, öffentlich einsehbare Facebook-Profile, Twitter, das sowieso irgendwie allen gehörte und dann wurde es enger. 

Welche Ausmaße unsere mediale Abhängigkeit annahm, konnte man sich anfangs nur schwer vorstellen. Filme und Serien wurden darüber gedreht. „Black Mirror" ist eine Ansammlung von Dystopien, viele davon verbunden mit dem technischen Fortschritt, immer mehr von der heutigen Realität abweichend, kontrolliert von der Maschine.  Die Serie erfreute sich großer Beliebtheit. Während manch andere sich vor den verstörenden Folgen fürchten, ein Gefühl des Unwohlseins, irgendwo im Hinterkopf ein Klopfen und ein Flüstern und die Angst, dass manche Szenarien vielleicht doch wahr werden könnten.  Was passiert, bevor Situationen so eskalieren, wie sie es gerade tun und wer hat darin welche Rolle gespielt? 

Betrachten wir das dritte und fünfte von insgesamt 14 Merkmalen des Faschismus,nach Umberto Eco.Irrationalismus (3): Wer versucht, online Diskussionen zu führen, mit Studien zu argumentieren und sich öffentlich zugängliches  Wissen zu eigen gemacht hat, wird schnell Opfer von Trolling. Trolling ist nicht nur mehr die Lieblingsbeschäftigung einsamer erwachsener Söhne in den Kellern ihrer Eltern, es wurde  das täglich Brot rechts-konservativer Politiker*innen, die damit Ihren Einzug in die sozialen  Medien ankündigten und mit ihnen, die Influencer*innen, die diese unterstützen, sich als volksnah und traditionsgetreu „outeten“ und all denen ein Gehör schenkten, die sich ausgeschlossen fühlten von neuen Diskursen über Gleichberechtigung, Feminismus,  Rassismus, Ableismus und etc.. 

Womit wir zum 4. Merkmal kommen: Ablehnung von Meinungsvielfalt und Pluralismus. Konversationen über jegliche Diskriminierung werden als besonders gefährlich vom rechten Milieu eingestuft. Unterhaltungen über Intersektionalität und Diversität werden auf X sofort bombardiert mit Anschuldigungen, dass damit Kinder und Frauen gefährdet werden würden. Es hieß, junge Menschen seien zwar sehr beeinflussbar, dennoch „neutraler“ Information und Belehrung in der Schule ausgesetzt. Deswegen machte man sich anfangs, von Seiten links-liberaler Parteien, nicht so viele Gedanken, wie es sich denn auf die Heranwachsenden auswirken könnte, derartige Auseinandersetzungen, trotzend vor Hetze und Irrationalität, täglich online zu sehen. Das war ein Fehler und noch ein viel größerer Fehler war es, nur uns dabei im Auge zu behalten. Als man dem Irrtum schließlich unausweichlich auf die Spur kam, war schon ein Schaden angerichtet, der sich zwar schnell aufgebaut hatte, jedoch nur mit viel Mühe und Zeit wieder abgebaut werden kann. Die Behauptung, dass es sich bei Berichterstattungen um „fake-news“ handelt, fällt Anhänger*innen der rechten Szene schon so leicht über die Lippen, wie die morgendliche Bestellung eines Weckerls beim Bäcker. Es wird als Argument in den Raum geworfen und liegt dann verkümmernd am Boden, wie ein Spielzeug, das die Katz’ nicht anschaut. Ganz eifrig werden die Worte von Ihren Heiligen nachgesprochen, die Rede ist natürlich von AFD und FPÖ. Beide Parteien erfreuen sich überhaupt nicht an den Medien, oder besser gesagt der Pressefreiheit, immer wieder wird ein Medium angeklagt, direkten Fragen von Interviewer*innen wie selbstverständlich ausgewichen, weil nur Hinterlist und Böswilligkeit hinter provokanten Fragen stehen kann. Ganz im Sinne dessen, scheiterten auch die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP. Seitens der FPÖ lehnte man den Punkt für die Vermittlung von Medienkompetenz in Schulen und Bildungseinrichtungen ab. Alleine, dass von einem „Beitrag im Kampf gegen fake news und Desinformation“ in den Verhandlungspapieren geschrieben wird, gefiel Kickl und Kolleg*innen scheinbar gar nicht; „fake news“ sei kein passendes Wording. Aber warum wünscht man sich keinen Ausbau der Medienkompetenz in der Bevölkerung, wenn „fake news“ doch so bedrohlich sind? Weil dieser Ausdruck keine Evidenz für die Falschheit einer Aussage oder eines Berichtes darstellt.  Wer keine Gegenargumente und nur verletzte Gefühle und persönliche Erfahrung hervorbringen kann, bedient sich dieser Bezeichnung. Man lenkt von der eigenen Meinung und dem persönlichen Befinden auf eine „falsche Berichterstattung“ und das muss auch nicht weiter begründet werden.

 In gewisser Art und Weise gab es diese Konflikte schon immer. Mundpropaganda im Dorf. Die Nachbarin munkelt, ob hinter dem Preisanstieg der Heumilch-Butter vielleicht die Menschen stecken könnten, die gerade aus einem Kriegsgebiet ins eigene Land geflüchtet sind. Aber was passiert, wenn sich ein ähnliches Gedankengut weiter ausbreitet? Wenn die Gedanken nicht nur mehr Spekulationen einzelner sind, aber von Politiker*innen wiedergegeben und millionenfach online auf Plattformen geteilt werden, die sich von Fact-Checking abwenden? Verschwörungstheorien werden zu Mainstream und der Wissenschaft wird nicht mehr getraut. Es ging nie einfach nur darum, auf einseitige Berichterstattung hinzuweisen, die Samen wurden erfolgreich gesät und regelmäßig gedüngt. Stück für Stück arbeitete man im rechten Spektrum daraufhin, die Bevölkerung stutzig von der Wissenschaft zu machen. Die Linien verschwammen und der Druck auf den Seiten wurde zu einer Provokation. Und provozieren lässt man sich sehr leicht, wenn schon seit Jahren Populist*innen mit den eigenen Gefühlen spielen. Charismatische Stimmen sind gefährlich, die Sorgen der Kleinbürgerlichen werden aufgegriffen und den verbitterten Privilegierten, die in der Opferrolle ertrinken, wird brav die Nase geputzt. 


Ich schreibe hier von all den Fäden, die vorsichtig gesponnen werden mussten, sodass der Anti-Intellektualismus sich auf diese Art und Weise infektionsartig ausbreiten konnte. Nie zuvor war es von derartiger Relevanz, fundamental zu recherchieren, nach unabhängigen Studien zu suchen, sich zu erkundigen, wer die Mittel dafür zur Verfügung gestellt hat und sich mit dem Umfeld darüber zu unterhalten. Die eigenen Glaubenssätze sollten in Frage gestellt und Material begutachtet werden, das sich vielleicht sogar dem entgegenstellt. Der Faschismus lebt von der Unwissenheit, von besorgtem Bürger*innen, denen vermittelt wird, dass Randgruppen der Ursprung ihres zunehmenden Leides sind. Der Anti-Intellektualismus lässt den Faschismus gedeihen und wenn ein Großteil der Bevölkerung in deinem Land der Wissenschaft anfängt zu misstrauen, dann zieht er gerade bei dir ein.