Keine Denkverbote mit Anda Morts
An einem grauen Tag begebe ich mich in den Zug mit einer wichtigen Mission. Es ist ein kalter, regnerischer Vormittag, zu gemütlich, um mein trautes Heim in Wien zu verlassen und mich auf die wilden Straßen von Linz zu begeben. Doch ich habe ein Ziel; mein erstes Interview – und das mit Anda Morts, oder Gandi wie er von seinen Freund*Innen genannt wird. Anda Morts stammt aus Linz und erobert zurzeit die deutschsprachige Musikszene mit seinem unverwechselbaren Indie-Punk. Die oft gestellte Frage, wovon sich sein Name ableiten lässt, ist leicht zu beantworten; Anda ist die Kurzform seines eigentlichen Namens Andreas und Morts bedeutet „Strom“, wenn man es rückwärts liest.
Ich treffe mich mit Anda im DH5 in Linz, einem Ort, der nicht so leicht zu beschreiben ist. Ich würde es als einen Begegnungsraum für alle kreativen Ausdrucksformen bezeichnen. Von Workshops bis Proberaum wird alles geboten. Gerade als ich unten vor der Glastür auf Anda warte, spreche ich mit einem Herrn, der sich auf eine Wrestling-Besprechung vorbereitet, die im DH5 stattfinden sollte.
So stehe ich nervös vor der besagten Glastür und warte auf Anda Morts. Man sagt ja, aller guten Dinge sind drei. In diesem Fall trifft das zu, denn das Interview musste zweimal verschoben werden. Aber heute ist unser Glückstag. Nach kurzem Warten kommt mir ein Mensch mit wilden blonden Haaren, lockerer Kleidung und einer elektrischen Gitarre in seiner rechten Hand entgegen und öffnet mir die Tür. Während ich meinen Vormittag damit verbracht habe, die Fragen für das Interview durchzugehen, war Anda seinen Erzählungen nach damit beschäftigt, „Schedule 1” zu zocken, ein Open-World-Simulationsspiel, in dem man sich sein eigenes Drogenimperium aufbaut. Anda hat an diesem Tag frei, was mittlerweile eher selten bei ihm ist.
Im September wurde nämlich sein erstes Album veröffentlicht, das den rätselhaften Namen „ANS“ trägt. Bei meiner Recherche habe ich versucht herauszufinden, was es mit dieser Abkürzung auf sich hat. Google sagte mir, dass es sich dabei um das autonome Nervensystem handle. Dafür steht der Albumtitel natürlich nicht – als gebürtige Steirerin hätte ich mit ein bisschen Kreativität auch selbst draufkommen können: „ANS“ heißt schlicht „Eins“ im Dialekt. Wie wir alle schon früh gelernt haben, folgt auf „Eins“ „Zwei“. Also dürfen wir gespannt bleiben, auf ein hoffentlich bald erscheinendes „ZWA“.
Auf die Frage, ob er gerade zufrieden sei, wirkt Anda zwiegespalten: „Ich glaub‘ ich bin zufrieden. Obwohl, nein, ich bin nicht zufrieden, ich bin nie zufrieden. Nein, eigentlich bin ich eh zufrieden, aber ich freue mich schon darauf, neue Sachen zu machen. Ich bin nur unzufrieden, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann“, war seine nicht so kurze Antwort. Er will nicht mehr über das „Alte“ reden. Und nicht mehr darüber, wie er seine Lieder schreibt. Er sagt nämlich dazu ganz kurz und knackig: „Einfach mit Stift auf Papier“. Ich lache bei dieser Aussage, da mir scheint, dass ich seine Gefühle nachempfinden kann. Auch ich kann von mir selbst nicht sagen, wie ich mit meinen Texten anfange. Zusammen einigen wir uns darauf, dass es wie beim Fahrrad fahren ist: wenn man‘s lernen will, muss man eben damit anfangen - ohne Übung wird es nicht besser.
Auch wenn es so manche erstaunt: Die Musik hat sich bei Anda nicht seit eh und je produziert. Tatsächlich hat das erst mit 14 Jahren angefangen, als Anda gefragt wurde, ob jemand Schlagzeug spielen kann – und er somit, ehe er sich versah, in seiner ersten Band, Chronic Marmalade landete (Anmerkung: Marmalade, weil das JAMming im Mittelpunkt stand). Der erste Gig kam dann erst mit 15 wiederum in einer anderen Konstellation. Es folgten Jahre und Partys, in denen verschiedene Musikprojekte geplant, angefangen und aufgelöst wurden. Jahre, in denen Anda als Fachsozialbetreuer für die Volkshilfe und bei Siemens im Transformatorenwerk gearbeitet hat. Irgendwann kam aber sein Baby Anda Morts auf die Welt, dessen Geburt mit einem Auftritt im Wiener Kramladen gefeiert wurde. Zwei Wochen vorher hatte er mit Nervosität vor der ausverkauften Show zu kämpfen. Was ihm dagegen bisher half? „Im Kreis gehen, Zigaretten rauchen und warten bis die Vorband vorbei ist“, antwortet er lachend.
Eines meiner Lieblingslieder aus dem neuen Album ist Kein Bock. Worauf hat Gandi gerade keinen Bock? Auf das gemeinsame Essen im Elternhaus, das für heute noch angesetzt ist, zum Beispiel – obwohl der Hunger sich schon langsam in seinem Bauch anbahnt, meint er. Passend dazu frage ich ihn, mit welcher Musik er aufgewachsen ist. Früher, als es noch nicht Anda, sondern Baby-Anda war, hat sein Vater Klassik aufgelegt, um ihn zu nerven und Kultursendungen wie Ö1 im Auto gespielt. Seine Mutter, dagegen, war ein Fan von Tracy Chapman und Marius Müller Westernhagen. Musik nahm keine besonders große Rolle in Andas Kindheit ein. Zwar wurde ab und zu mal eine CD gespielt, richtige musicheads waren seine Eltern allerdings nicht.
Seine eigene Musik hört er lieber nicht. Stattdessen spielen bei ihm Delta Blues aus den 30er Jahren und alte Folk-Klassiker. Hätte Anda ein Café würde dort in der Früh Northern Soul und Blues zum Aufwachen laufen, Country wenn gesoffen wird und zu später Stunde bissl Ska und Punk („Was auch immer das sein soll“, kommentiert er grinsend) gespielt. Das Café wäre voller Pickerl, eher dunkel (die Fenster sind natürlich dreckig und angeschmiert) und es gäbe einen schönen Gastgarten. Kurz und knapp: Es soll aussehen wie die Kapu, ein urbanes Kulturzentrum in Linz. Die zwei Mal, die er bisher in der Kapu auftreten durfte, gehören zu seinen Lieblingsauftritten und wir, als treue Fans, hoffen auf einen dritten ;). Dort verbringt Anda auch gern den einen oder anderen Tag in seiner stressigen Arbeitswoche. Denn tatsächlich ist das auch das, was ihn an Musiker-Dasein stört: der ganze Stress, immer erreichbar sein und Leute, die nur über sich selbst reden. Das sind die Schattenseiten der Musikwelt. Allerdings hat der Lifestyle auch bestimmte Vorzüge – lang schlafen zum Beispiel. Das macht er nämlich sehr gern. (Hier erinnere ich kurz an die Line: „Ich sitze vormittags im Park, wenn ich mal nicht bis mittags schlaf” aus seinem Lied Freitag, durch die man dies schon vermuten konnte – vielleicht war genau deshalb unser Treffen auch ein kleiner Glücksfall mitten in der Woche.)
Eine oft gestellte Frage habe ich aber noch an den lieben Herrn Morts: „Wieso singst du nicht im Dialekt?“ Er denkt nach und antwortet: „Linzer Dialekt gibt das nicht so her. Vielleicht tut er es, aber ich hab‘ keinen Bock drauf. Das Linzerische ist vielleicht zu hart, das klingt nur Oasch.“ Das bedeutet aber nicht, dass es für ihn ein Tabu ist! Zwar kennt er niemanden, der das wirklich gut macht, aber Denkverbote gibt es bei ihm nicht. In seinem Freundeskreis wird zum Beispiel durchaus im Dialekt gerappt. Auch auf englische Lieder dürfen wir vorsichtig hoffen – und mit etwas Glück könnten wir uns sogar bald über ein Osterlied von ihm freuen. Worum es darin gehen soll? Naja, ganz klar: Jesus stirbt (ersteht aber danach wieder auf, soweit ich mich erinnern kann).
Am Ende bleibt bei Anda Morts eines hängen: Es gibt keine Denkverbote. Ob auf Deutsch, Englisch oder vielleicht irgendwann Dialekt, alles ist erlaubt, so lange er Lust darauf hat. Die Musik von Anda Morts ist ein rohes, ehrliches und humorvolles Spiegelbild seiner Gedankenwelt. Wer seiner Musik zuhört, merkt schnell: Hier gibt es keine Fassaden oder künstlichen Attitüden.
„Würdest du uns noch gern etwas mitteilen, Anda?“
„Lieb sein!“