MAGAZIN FÜR KUNST, KULTUR UND ALLES WAS MAN IM CAFÉ BESPRICHT  

Worship something rotten and act surprised if it decays


Ein Bett von oben, darauf eine junge Frau in kurzen Klamotten, regungslos, starrer Blick. In der rechten Hand ein Smartphone, in der linken eine glühende Tschick. Kabelkopfhörer, die die Inhalte des flimmernden Bildschirms ohne Umwege direkt ins Ohr, ins Gehirn, in die Tiefen ihrer Selbst leiten. Links neben ihr in vertrauter gelber Farbe ein Reklam, am Boden leere Flaschen. Sie konsumiert - Nikotin, Ethanol, Literatur, Kurzvideos. Der unentwegte Lärm der Welt da draußen will unterdrückt, die zu sensiblen Sinne betäubt, die eigene schmerzhafte Existenz vergessen werden. 

Ist da noch Leben in ihr? Oder ist alles Lebendige längst verwest, verrottet, verkümmert? Was verbirgt sich hinter der menschlichen Fassade, der fleischernen Hülle? Ist das, was sie einst war, noch wiederzufinden zwischen all dem, was sie nicht ist? Das Stofftier zu ihrer Linken schaut den Betrachter mit müden Augen an, ein schmerzliches Attest an die verloren gegangene Kindheit. Wie lange kann sie sich betäuben, bevor die Vergänglichkeit sie unausweichlich konfrontiert? Bis die letzte Zigarette ausbrennt, die letzte Seite gelesen, der letzte Tropfen getrunken ist?

Einzig das Scrollen kennt kein Ende. Doomscrolling, ein Begriff, der uns angesichts unseres eigenen Schuldbewusstseins schaudern lässt. Und doch beschreibt er das große Verhängnis unserer Zeit so treffend: Scrollen, das einen in die Verderbnis stürzt. Scrollen bis zum Untergang. Scrollen, so lange bis die letzten Fragmente unserer Individualität verwesen sind. 

Burgunderrot, so weit das Auge reicht. Da tropft Blut aus der blassen Nase, Tränen aus den traurigen Augen. Da sind sich in ihrem Elend windende Kreaturen und sich in ihrer unerbittlichen Trauer fest umschlingende Gestalten. Da drüben aufgebahrt ein lebloser, nackter Körper. Ihn ziert eine Narbe, die vom Brust- bis zum Schambein reicht, aufgeschlitzt und zugenäht. Noch ein Körper, knochig, entblößt. Ein klaffendes schwarzes Loch, da wo eigentlich das Herz ist. Ameisen suchen sich ihren Weg ins Innere.

Es ist ein Raum, abseits des Trubels einer verregneten Stadt Ende September. Dutzende Staffeleien, sich türmende Farbpaletten, der Geruch nach Farbe - frisch, angetrocknet, im Becher verkrustet. Eine Kunststätte, keine Frage. Doch da liegt noch etwas in der Luft an diesem Ort, der bei näherem Betrachten einer Karikatur seiner selbst gleicht: Verwesung. Oder ist es die düstere Stimmung der umstehenden Bilder, die einem diesen stechenden Geruch zu vernehmen lassen meinen? 

Inmitten des Ateliers die Frau, die die bemitleidenswerten Wesen geschaffen hat. Lea Jeitler, Linzer Künstlerin, 20 Jahre alt. Eine ruhige, in sich gekehrte Person mit großen Gefühlen und großem Talent. Mühelos scheint sie, die in ihrer Notiz-App festgehaltenen Gemütszustände und Alltagserfahrungen auf ein Stück Leinwand zu bringen. Zuerst skizziert sie - textlich und zeichnerisch. Dann macht sie Musik an und stürzt sich in die Abgründe ihres Erlebens.

Ihre Bilder sind zugleich sehr sanft und ziemlich brutal. Sie mag diesen Kontrast, weil er veranschaulicht, wie ambivalent sich manche Momente anfühlen. Das Malen hat auf sie eine meditative, ja sogar eine therapeutische Wirkung. Ob ihre Bilder schlussendlich von jemandem gesehen werden, ist ihr eigentlich egal. Wenn doch, dann bitte möglichst unvoreingenommen sein, keine voreiligen Schlüsse ziehen. Melancholie und Bescheidenheit sind für sie jedenfalls kein Fremdwort - für die Frau, die so jämmerliche Kreaturen erschafft, die Alpträume einfängt und konserviert und ihren Betrachter*innen den Spiegel vorhält. 



ELLA KURWOSKI TEXT


LEA JEITLER BILD